Mit dem Dreirad zum Muskeltraining. – Spinale Muskelatrophie (SMA)

Die dreijährige Yasemin ist ein starkes Kind. Wir kennen sie schon fast ihr ganzes Leben lang. Zwei bis drei Mal in der Woche kommt sie in unsere Praxis und jedes Mal beeindruckt sie uns mit ihrem Willen und ihrer Kraft. Yasemin leidet an einer schweren Muskelerkrankung: Spinale Muskelatrophie (SMA Typ1). Ihr fehlt ein wichtiges Gen im Erbgut, darum kann ihr Körper die so genannten SMA1-Proteine nicht bilden. In der Folge sterben motorische Nervenzellen ab und die Muskulatur verkümmert (Muskelschwund).

Bis vor ein paar Jahren war die Lebenserwartung für Kinder wie Yasemin sehr gering. Aber Yasemin bekommt seit ihrem vierten Lebensmonat ein Medikament, durch das die Nervenzellen erhalten bleiben und die Muskulatur sich entwickeln kann. Yasemin ist ein aufmerksames Kind. Mit großen Augen bewundert sie die neue Weihnachtsdeko, als sie mit ihrem Rollstuhl in die Praxis gefahren wird. Sie zeigt und spricht, freut sich und löchert ihre Mutter mit Fragen. Yasemin will alles wissen. Da sich die Muskelschwäche auch im Gesichtsbereich bemerkbar macht, klingt ihre Sprache noch verwaschen. Ihre Mutter versteht jedoch genau, was Yasemin meint.

Yasemin hat einen niedrigen Muskeltonus, sie verliert leicht das Gleichgewicht. Zum Sitzen benötigt sie ein Korsett. Außerdem sind ein Absauggerät, Fußorthesen und ein Rollstuhl Yasemins stetige Begleiter. Zu Hause hat sie noch einen Stehständer, einen Therapiesitz, ein Hustenhilfe-System, ein Sauerstoffgerät und Lagerungshilfen. Auf dem Flur entdeckt Yasemin das Therapiedreirad und bekommt leuchtende Augen. Wir heben sie aus dem Rolli und setzten sie in das Dreirad. Yasemin kann sich nicht wie andere Dreijährige bewegen. Bewegungsübergänge vom Boden in den Stand oder vom Rolli auf den Fußboden zum Beispiel kann sie alleine nicht bewältigen. Trotzdem weiß sie genau, wann sie welche Muskulatur einsetzen muss. Sie versteht die Koordination der Bewegungsübergänge und der Bewegungen. Insgesamt ist ihre geistige Entwicklung in vielen Bereichen der eines dreijährigen Kindes voraus. Ihr Können zeigt sie nun auch beim Dreiradfahren. Yasemin hat zwar wenig Kraft, so dass wir etwas anschieben müssen, aber sie kann alternierend treten, dabei lenken und klingeln. Mit gutem Raumgefühl macht sie sich auf die Reise durch den langen Flur. Ihr Ziel: der Trainingsraum. Andere Patienten und Therapeuten grüßen fröhlich. Viele kennen Yasemin schon lange und freuen sich über jeden Fortschritt. „Go, Yasemin, go!“

Am Ziel angekommen, trainiert Yasemin dann auf der Vibrationsplatte. Heute stehen die Kräftigung von Rumpfmuskulatur, Stützmuskulatur, Hüft- und Beinmuskulatur sowie Kopfkontrolle auf dem Programm. Die Mutter hilft und lässt sich für die Übungen zu Hause anleiten. Manchmal fotografiert und filmt sie als Erinnerungsstütze für die „Hausaufgaben“. Nach dem Intervalltraining auf der Vibrationsplatte fährt Yasemin fährt mit dem Dreirad zur nächsten Aufgabe in einen anderen Raum. Hier rutscht sie auf einem Sitzsack die schräge Ebene hinunter. Dabei sind Gleichgewichtssinn und die Haltungskontrolle gefordert. Am Ende der Einheit ist Yasemin rot vor Anstrengung und müde, aber glücklich.

THERAPEUTENTEAM BLANKENESE